Mittwoch, 11. Juli 2012

ZWEI TRAKTATE DES ANTONINUS FLORENTINUS UND BERNHARDINUS SENENSIS

GEILER nennt in der deutschen Fassung seiner Predigt "Von den neün früchten oder nützen aines rechten kloster lebens" einen nicht näher spezifizierten "ANTONIUS":
"Ja das ist alles samen war/ als Anthonius sagt von guotten und guotwilligen clostermenschen."
Ein solcher Satz findet sich bei ANTONIUS EREMITA nicht!
In der lateinischen Fassung der Predigt jedoch spricht sich Geiler über seine Quellen deutlicher aus:
"...haec omnia predicta vera sunt secundum Anthonium et Bernhardinum..."
Damit war klar: Es handelt sich nicht um den berühmten Anachoreten ANTONIUS, sondern um den Florentiner Erzbischof ANTONINUS (1389-1459) und um den Volksprediger BERNHARDINUS VON SIENA (1380-1444). Diese sind in der Geschichte des deutschen Frühdrucks nicht unbekannt. Ihre Werke sind in Strassburg und Basel gedruckt worden, darunter die "SUMMA THEOLOGICA" des ANTONINUS (Druck: Straßburg 1490 bei JOHANN GRÜNINGER) und das "QUADRAGESIMALE DE CHRISTIANA RELIGIONE" des BERNHARDINUS (Druck: Basel nicht nach 1490 bei JOHANN AMERBACH).
Weiterhin bestätigt wurde diese Annahme durch eine Predigt mit dem Titel "De pertinentibus ad commendationem religionis" des ANTONINUS.
Diese Schrift zerfällt in drei Teile. Ihr "thema" ist Psalm 132, 1:
"Ecce quam bonum et quam jucundum habitare fratres in unum!"
Jeder der drei Teile behandelt einen Teilaspekt des "themas", das zu diesem Zweck geteilt wird:
1.) Ecce quam bonum
2.) Et quam jucundum
3.) Habitare fratres in unum.
Der erste Teil der Schrift behandelt die "utilitas" des geistlichen Stands, der zweite die "suavitas" und der dritte die "honestas". Der erste Teil ist wie die Schrift GEILERS in neun Kapitel eingeteilt, die in derselben Reihenfolge wie GEILER jeweils einen der neun Vorteile des geistlichen Stands behandeln. Teil 2 ("secundum principale") besteht aus drei und Teil 3 ("tertium principale") aus vier Kapiteln.
Eine nähere Untersuchung zeigt, daß der erste Teil des Texts und GEILERS Schrift "Von den neün früchten..." in Inhalt und Aufbau weitgehend identisch sind.
Nun ging ich dem Hinweis auf Bernhardinus nach. Das "Quadragesimale" des BERNHARDINUS enthält in der Tat einen Text, der, ähnlich wie die Schrift des ANTONINUS, GEILERS Predigten "Von den neün früchten..." in Inhalt und Aufbau entspricht. Diese Schrift trägt den Titel "De sacra religione" (sermo Nr. 16).
Diese Quellennachweise haben für die Frage von GEILERS "Originalität" folgende Konsequenzen:
1.) GEILERS Schrift "Von den neün früchten..." ist nicht (wie anfangs angenommen) die selbständige Kompilation einer größeren Anzahl von Zitaten, sondern ihr liegen zwei gleich strukturierte Predigten des ANTONINUS und BERNHARDINUS zugrunde.
2.) Die Schrift GEILERS ist keine "Originalschöpfung" (vgl. dagegen De Lorenzi: Geilers von Kaisersberg ausgewählte Schriften nebst einer Abhandlung über Geilers Leben und echte Schriften. 4 Bde. Trier 1881-1883, Bd. 3, S. 302.).
3.) Die Zuschreibung der Predigt in der Ausgabe Augsburg 1508 trifft nur mit Einschränkung zu.
4.) GEILER ist nicht der Autor der Predigt, sondern nur ihr Bearbeiter.
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EREC

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