Freitag, 18. Oktober 2013

8. JUNI 793, ORT: LINDISFARNE, NORTHUMBERLAND

Es ist der 8. Juni des Jahres 793, ein schöner Tag im Frühsommer. Wir befinden uns auf der Hebrideninsel LINDISFARNE, wo gerade die fleißigen Mönche des Klosters das Heu für den Winter einbringen.
"Die Ernte war gut, der himmlische Vater hatte das Eiland sichtbar gesegnet. Die Brüder freuten sich des reichen Ertrages und hegten Dankbarkeit in ihrem Herzen."
R. PÖRTNER: DIE WIKINGERSAGA, Knaur, München 1975, S. 11
Die Abtei auf der Insel war schon vor 158 Jahren von keltischen Mönchen der Insel Jona gegründet worden.    Ihr Chef war ein gewisser AIDAN (Berufsausbildung: Heiliger). PÖRTNER nennt ihn einen "sanften, gelassenen und glaubenseifrigen Mann". AIDAN hatte von LINDISFARNE aus Ostengland missioniert und so den argen Heiden die frohe Botschaft gebracht. Ein gewisser CUTHBERT setzte dessen frommes Werk fort. CUTHBERT hatte eine etwas seltsame berufliche Laufbahn: erst Schafhirt, dann Prior, danach Einsiedler, schließlich Heiliger. Dieser wollte das iroschottische Anachoretentum mit der Schule des HL. Benedikt (Weisheit und tätige Liebe) verbinden.
Doch dies war den Männern, die der Insel einen Besuch abstatteten reichlich egal. Heiliger hin oder her, für sie zählte nur eins: Beute. PÖRTNER beschreibt die Szenerie wie folgt:
"Gegen Mittag tauchten Schiffe mit großen quergestellten Segeln in der Kimmung zwischen See und Himmel auf. Die Boote hielten Kurs auf die heilige Insel und näherten sich schnell. Die frommen Mönche von Lindisfarne beunruhigte das nicht. Sie waren ohne Arg und, wenn man den zeitgenössischen Berichten glauben darf, jederzeit bereit, nicht nur dem Herrn, sondern auch den Menschen zu dienen. Vielleicht bedurften die unbekannten Seefahrer ihrer Hilfe..."
Die lieben Mönche von LINDISFARNE waren allesamt Narren in Christo und große Schafsköpfe vor dem Herrn ohne jeden Realitätssinn. Es genügt eben nicht in dieser Welt, ein guter Mensch zu sein. Die Wikinger hingegen waren ganz sicher keine albernen Gutmenschen.  PÖRTNER beschreibt eindrucksvoll das Grauen, das über die Mönche hereinbrach:
"Dann aber kam die Hölle über sie. Die Insassen der Schiffe stürmten schrecklich grölend und Äxte und Scherter schwingend, an Land, stürzten sich auf die wehrlosen Brüder, die ihnen vertrauensvoll entgegentraten, warfen sie zu Boden, 'töteten sie, schleppten einige in Fesseln mit sich fort, trieben viele von dannen, ihrer Kleider entblößt, und überschütteten sie mit schmählichem Spott, und manch einen ertränkten sie im Meer.'" (S. 12)
Selbst die Klosterknechte und Frauen ließ man über die Klinge springen. (Ich hätte übrigens die Frauen als Kriegsbeute mitgenommen und selber behalten bzw. diejenigen gegen andere Dinge eingetauscht, die allzu sehr keiften. Zickige Weiber kann man auf einer Beutefahrt wahrlich nicht gebrauchen.)
"Beutelustig stahlen die fremden Krieger alles, was nicht niet-und nagelfest war. Sie raubten den Kirchenschatz, zertrampelten die heiligen Stätten, stürzten die Altäre um, vernichteten die Klosterbibliothek, plünderten die Keller, schlachteten die Rinder und Schafe auf den Weiden und ließen alle Gebäude in Flammen aufgehen.
Lärmend und siegestrunken kehrten sie dann auf ihre drachenkopfgeschmückten Fahrzeuge zurück und verschwanden wieder." (S. 12)
Der Spuk war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Wie man sieht, hatten die Nordmänner wenig für sakrale Kunst übrig, und besonders bibliophil waren sie auch nicht.
Doch bei aller Verklärung sollte man eines nicht vergessen: Die Wikinger waren-genau genommen- eine Bande von Verbrechern, und besonders heroisch war es auch nicht, arme Mönchlein mit dem Schwert oder der Axt vor sich herzutreiben.
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Quelle: u.a. die Angelsächsische Chronik
(ein Steinrelief bestätigt die schriftlichen Quellen!)
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R.

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