fol. 72 r: Was das Gewissen angeht, so befinden sich viele in großem Irrtum. Bei weltlichen Freuden und Kurzweil muß man sich in acht nehmen (übermäßige und überflüssige Gebärden, Kleidung, Schmuck). Oft straft einen das Gewissen dafür. Doch kann man sich nur schwer davon losmachen. Handeln die Leute aber anders als ihresgleichen, so werden sie geschätzt, wenn sie das Unrecht anderer strafen. So vermeinen sie gerecht zu sein und schätzen sich selbst besser.
fol. 72 v: Die Stände der Menschen: sie sind ungleich. Es gibt geistliche und weltliche. Einer ist in der Ehe, der andere ledig, einer will heiraten, der andere nicht. Ebenso gibt es Unterschiede beim Gewissen und zwischen Todsünden und läßlichen Sünden. Es gibt verschiedene Umstände, die ein Werk gut oder schlecht machen. Zum ersten soll man wissen, daß es sieben Arten des Gewissens gibt.
1) ein zu sicheres oder füchsisches wie bei den Pharisäern, die oft große Sünden zu kleinen machen. Ein kleiner Irrtum wird durch böse Gewißheit
fol. 73 r/ v: am Ende groß. Fabel vom Fuchs, Löwen und Esel: Der Fuchs macht klein, was der Löwe getan hat, aber der Esel getan hat, der nur einen Schuh gefressen hat, das macht er groß. Genauso gibt es Leute die"gleich der fuchsischen listikait" sind, die die großen Sünden der Mächtigen kleinreden, aber die kleinen der Armen strafen. So richten die großen Diebe über die kleinen.
fol. 74r: 2) Das zweite ist das zu weite Gewissen, das nur die großen Sünden beachtet. Solche merken nicht, daß ein starkes Haus zusammenfällt, wenn man kleine Mängel übersieht. Sie sind wie Fischer mit weitmaschigen Netzen, die daher die kleinen Fische nicht fangen, die übrigens oft besser und gesünder sind. Mit zu weitem Gewissen kommt man nicht zur Vollkommenheit!
fol 74 v: Ein solches Gewissen heißt man das wölfische.- Fabel vom Wolf, der Kuh und dem Kalb.-Viele wollen sich durch ein zu weites Gewissen herausreden.
3) Die dritte Art von Gewissen ist das kleinmütige und strenge, wie es die haben, die an allem zweifeln und über alles besorgt sind. Bibelzitat: AT (Makkabäer 2).
4) Das vierte ist das ruhige. Solche sprechen oft: Gott sieht es nicht.
75 r/v: Warnung Salomons, nicht den Sünden nachzugeben (Sprüche 1). Ein solches Gewissen haben die, die nicht wissen wollen, was das Richtige ist.
5) Das böse Gewissen, das oft der Verzweiflung nahesteht. Das haben die, die immer wieder in Sünde fallen, obwohl sie es bereuen. Zitat NT (Christus spricht zu Petrus).
6) Dieses ist gut, aber nicht ruhig, sondern krank wie bei denen, die in Bitterkeit ihrer Seele gedenken, wie sie in den letzten Jahren gewesen ist. Sie empfinden den Streit zwischen Körper und Geist. Diese Menschen sind lau(warm) in ihrem Streben. Da wo keine Sünde ist, sind sie oft betrübt. Sie werden oft durch die bösen Feinde der
76 r/v: Worte bewegt oder durch die Lehren der Unweisen, die einen irre machen. Zitat NT (Korinther 8).
7) Dieses ist ruhig und gut (Zitat: "der Zwölfbote"; AT) und HUGO VON ST. VIKTOR im Buch über die Seele: ein ruhiges Gewissen ist süß.
77 r: Ein gutes Gewissen macht ein Drittel der Geistlichkeit aus; es ist eine Wohnung des Hl. Geistes.
77 v: Am jüngsten Tag kommt es ans Licht und wird wie ein Buch geöffnet. Geistliche Sünden: Hoffart, Geiz, Neid, Haß. Vergleich mit Mücken und dem "kameltier".-Das gnadenlose Gewissen ist oft sich selbst gnädig.
ENDE TEIL 1-----
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